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Kommentar

Interview mit Cloud Expo Europe

Im Oktober 2017 wurde ich im Rahmen der Cloud Expo Europe von Closer Still Media zum Thema “Digital. Cloud. AI-driven.” interviewed.

Rene Büst: „Künstliche Intelligenz wird der Game Changer“ (24. Oktober)

Die Herausforderungen für Unternehmen wachsen. Die Märkte sind zunehmend volatil, gleichzeitig gilt es schnell zu reagieren um im harten Konkurrenzkampf erfolgreich zu bestehen. Darüber hinaus erschweren Unsicherheit und Komplexität längerfristigen Planungen. René Büst, Director of Technology Research bei der arago GmbH, erklärt im Interview, auf was Unternehmen bei der Umsetzung digitaler Strategien besonderen Wert legen sollten.

Frage: Sie propagieren ein „Magisches Dreieck“ aus Cloud, Digitalisierung sowie Artificial Intelligence (AI) als Grundlage moderner Unternehmensstrategien. Was steckt dahinter?

René Büst: Das „magische Dreieck“ setzt sich aus den Ecken Digital, Cloud und AI-driven zusammen. Vereinfacht dargestellt sollte es so von oben wie folgt gelesen werden: „Sei digital“, „Nutze Cloud“ und „Erweitere mit künstlicher Intelligenz“. Ich sehe dieses Dreieck aktuell als die Grundlage moderner Unternehmensstrategien. Denn wenn Sie sich einmal erfolgreiche Unternehmen anschauen, dann setzten diese bereits seit über 20 Jahren auf digitale Technologien, haben ihre Technologie-Stacks kontinuierlich erweitert und hierbei das Geschäftsmodell hinterfragt, um zu verstehen, wie Technologien sie weiter nach vorne bringen. Diese Unternehmen haben als Pioniere frühzeitig begonnen, Cloud-Computing zu nutzen und sind ebenfalls die Vorreiter beim Einsatz von Artificial Intelligence, um ihre Kunden besser zu verstehen und diesen einen besseren Service zu ermöglichen.

Amazon ist das Paradebeispiel. Als einfacher Webshop gestartet, würde Amazon derzeit nur noch ein eigenes Music-Label benötigen, um nahezu 100 Prozent der digitalen Güter Ende-zu-Ende zu kontrollieren. Amazon Video ist dafür nur ein Beispiel:

  • Amazon produziert eigene Filme und Serien (die bereits Golden Globes gewonnen haben)
  • Amazon betreibt seine eigene Infrastruktur, um Videos abzuspielen und auszuliefern (Amazon Web Services)
  • Amazon hat seine eigene Plattform, um Videos zu streamen (Amazon Video)
  • Amazon kontrolliert die Distributionskanäle anhand von Apps (Multi-OS) und eigener Geräte (Kindle)

Die Cloud ist einer der wichtigsten Treiber der Digitalisierung. Nur mit dem Einsatz dynamisch agierender und global skalierbarer Infrastrukturen und Plattformen können Unternehmen ihre IT-Strategien an die sich ständig verändernde Marktbegebenheiten anpassen und die Unternehmensstrategie damit agiler unterstützen. Cloud-Infrastrukturen und Plattformen ermöglichen es IT-Organisationen Agilität bereitzustellen und die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens zu erhöhen. Hierzu zählen:

  • Zugriff auf State-of-the-art Technologien und höherwertige Services, um neue digitale Produkte und Dienste zu entwickeln.
  • Kostengünstige Entwicklung und Tests von PoCs.
  • Verbesserung der Customer Experience anhand der Entwicklung neuer kundenzentrierter Lösungen, um die Kundenbeziehung zu optimieren.
  • Engere Integration der gesamten Prozess- und Lieferkette innerhalb der Organisation sowie mit Partnern und Lieferanten.
  • Beschleunigung des Release-Zyklus (Continuous Development und Deployment)

Artificial Intelligence ist die Zukunft für jedes digitale Unternehmen. Stellen Sie sich vor, dass jeder Prozess von einer AI gesteuert werden kann und wird. Denn mit einer AI lässt sicher jeder Prozess innerhalb eines Unternehmens automatisieren. Hierbei handelt es sich um einen wichtigen Aspekt auf dem Weg zu neuen Geschäftsmodellen, da eine AI-betriebene Organisation Unternehmen befähigt, finanzielle Ressourcen und Talent wesentlich effizienter einzusetzen. AI ist der nächste logische Schritt nach der Cloud und profitiert gleichermaßen von deren Erfolg. Die Cloud ist der Antrieb aus einem technologischen Blickwinkel. Bei AI geht es um den Mehrwert für das Unternehmen und führt zu intelligenteren Anwendungen. Auf Basis komplexer Analysen verfeinern AI-Anwendungen im Hintergrund die Kundenansprache und passen Produkte und Dienste besser an die jeweiligen Bedürfnisse an.

Als Teil der Digitalstrategie befähigt eine AI Unternehmen, ihren Geschäftsbetrieb und dessen Abläufe zu verbessern – u.a. durch:

  • Ein verbessertes Verständnis ihrer Kunden anhand von Interaktionen und des Verhaltens aus der Vergangenheit.
  • Eine neuartige Bedienung von Applikationen durch die Veränderung der Kundeninteraktion von der Tastatur- hin zur Spracheingabe.
  • Eine tiefergehende Kundenbeziehung anhand von “Advanced Virtual Assistants”, welche das Kundenerlebnis verbessern.
  • Kundenspezifische Produkte und Dienstleistungen angepasst an die Kundenanforderungen.
  • Vorhersagen durch Analysen von Kundendaten, -interaktionen und -verhalten aus der Vergangenheit und in Echtzeit.
  • Gesprächiger zu sein, anhand “Smart Personal Assistants” und Bots.
  • Erweiterung bestehender Produkte, Dienste, Anwendungen und Prozesse.

Eines sollte jedoch nicht vergessen werden. Bei AI geht es nicht nur darum, existierende Prozesse zu verbessern. In den kommenden 5 bis 10 Jahren wird AI zum Game Changer werden. Es wird Innovationszyklen beschleunigen und zu neuen Geschäftsmodellen führen.

Frage: Ein weiteres Schlagwort lautet „Green Blue Green Deployment“. Was verbirgt sich hinter dieser Strategie?

René Büst: Blue Green Deployment ist eine Strategie für die Bereitstellung und das Veröffentlichen von Software. Das Konzept basiert auf zwei separaten, aber produktionsfähigen Umgebungen, die in der Lage sind die jeweiligen Applikationen bereitzustellen. Die einzelnen Umgebungen werden als Blue und Green bezeichnet und sind im besten Fall identisch. Nur eine der beiden Umgebungen ist zu einem Zeitpunkt aktiv (Blue) und nimmt die Anfragen an die produktiven Anwendungen entgegen. Vor den Endpunkten jeder Umgebung befindet sich ein Router oder Load Balancer, um den Datenverkehr entsprechend an die aktive Umgebung weiterzuleiten. Wird ein neues Software-Release entwickelt, wird es zunächst auf der nicht aktiven Umgebung (Green) bereitgestellt. In einem Blue Green Deployment ist die nicht aktive Umgebung als die finale “Staging” Umgebung zu verstehen. Sie bildet die Produktionsumgebung (die aktive Umgebung) so nah wie möglich ab und wird gleichzeitig für den finalen Test genutzt. Sobald die neue Software-Version getestet wurde und als stabil gilt, kann das neue Release als produktive Version bereitgestellt werden, indem der Router/Load Balancer den Datenverkehr an die “Green”-Umgebung weiterleitet. Die vorherige aktive Umgebung (Blue) wird inaktiv und die vorherige Staging Umgebung (Green) wird zur produktiven Umgebung. Ab diesem Zeitpunkt ist die vorherige Software-Version zwar nicht mehr aktiv, aber weiterhin verfügbar. Sollte die neue Version unerwartete Anomalien oder ernsthafte Probleme zeigen, lässt sich der letzte Stand durch eine einfache Neukonfiguration beziehungsweise Umschalten des Routers/Load Balancers auf die alte Umgebung wiederherstellen.

Frage: Lohnt es aus Ihrer Sicht es sich noch für Unternehmen, eine eigene Serverinfrastruktur aufzubauen? Oder führt kein Weg mehr an Cloud-Dienstleistungen vorbei?

René Büst: Zunächst trägt Cloud-Computing dazu bei, die Investitionskosten in IT-Umgebungen zu reduzieren. Dabei handelt es sich aber nur um einen Bruchteil der Vorteile, die von der Cloud ausgehen. Viel wichtiger ist jedoch der ständige Zugriff auf State-of-the-Art-Technologien und neue Services wie AI – etwas, das innerhalb von selbst betriebenen On-Premise-Umgebungen nicht möglich ist. Weiterhin ist die Skalierbarkeit und Elastizität von Cloud-Computing essentiell, um auf die wechselnden Marktbedingungen und Kundenanfragen flexibel reagieren zu können. Cloud-Services sollten zudem in die Business-Strategie mit einbezogen werden. Vor allem für diejenigen Unternehmen, die auch in anderen Ländermärkten als nur Deutschland aktiv sind oder international expandieren wollen. Cloud-Computing erleichtert es, die globale Reichweite mit einfachen Mitteln zu erhöhen, da die großen Public-Cloud-Anbieter mittlerweile in allen wichtigen Regionen weltweit mit lokalen Rechenzentren vor Ort sind. Grundsätzlich gibt es aber nicht ein klares Ja zur reinen Public Cloud-Nutzung bzw. ein klares Nein zu reinen On-Premise-Umgebungen. Vielmehr geht es um einen gesunden Mix, der zu der IT- bzw. Geschäftsstrategie passt.

Frage: Wie ist Ihre Meinung zum Thema Datenschutz in der Cloud? Wie steht es zum Beispiel um die Datensicherheit, wenn beispielsweise ERP-Systeme in der Cloud agieren? Wie können sich Unternehmen wirkungsvoll absichern?

René Büst: Die Krux ist, geht es um das Thema Sicherheit, werden leider immer wieder zwei Begriffe vermischt, die grundsätzlich unterschieden werden müssen: Die Datensicherheit und der Datenschutz.

Datensicherheit bedeutet die technischen und organisatorischen Maßnahmen umzusetzen, um Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität der IT-Systeme sicherzustellen. Public Cloud-Anbieter bieten weit mehr Sicherheit, als es sich ein deutsches mittelständisches Unternehmen leisten kann. Das hängt damit zusammen, dass Cloud-Anbieter gezielt in den Aufbau und die Wartung ihrer Cloud Infrastrukturen investieren und ebenfalls das dafür notwendige Personal beschäftigen und die entsprechenden organisatorischen Strukturen geschaffen haben. Hierzu werden jährlich Milliarden von US-Dollar in die Hand genommen. Es gibt nur wenige Unternehmen außerhalb der IT-Branche, die in ähnlicher Weise in IT-Sicherheit investieren können und wollen.

Beim Datenschutz geht es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte während der Datenverarbeitung und den Schutz der Privatsphäre. Dieses Thema sorgt bei den meisten Unternehmen für die echten Kopfschmerzen. Denn beim Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz macht der Gesetzgeber kurzen Prozess. Es geht zunächst also darum, den Cloud-Anbieter für die Einhaltung der im §9 festgehaltenen Regeln im Bundesdatenschutzgesetz in die Verantwortung zu nehmen und dies selbst auf Basis von §11 zu überprüfen. Für die Erfüllung von §11 empfiehlt es sich auf die Gutachten von Wirtschaftsprüfern zurückzugreifen, da kein Anbieter jeden Kunden einzeln ein Audit durchführen lassen kann. Der Datenschutz ist ein absolut wichtiges Thema, schließlich handelt es sich dabei um sensibles Datenmaterial. Es ist aber in erster Linie ein rechtliches Thema, was durch Maßnahmen der Datensicherheit gewährleistet werden muss.

Unterm Strich müssen Unternehmen das Thema Verschlüsselung weit oben auf die Agenda setzen. Anbieter von Cloud-Services müssen Sicherheit „Out-of-the-Box“ mitliefern. Ergo, jeder Cloud-Anbieter, der für „mehr“ Sicherheit ein extra Preis-Tag an seine Services dran schreibt ist in der heutigen Zeit kein seriöser Partner mehr. Zudem ist Verschlüsseln „at Rest“ (Verschlüsselungen der ruhenden Daten), als auch „End-to-End“ (Verschlüsselung der sich bewegenden Daten inkl. der ruhenden Daten) heute State-of-the-Art.

Frage: Google, Amazon und Facebook stehen Sie kritisch gegenüber. Sie vertreten sogar die Meinung, dass jedes Unternehmen in direkter Konkurrenz zu diesen Internet-Giganten steht. Wie meinen Sie das?

René Büst: Nun, grundsätzlich finde ich Google und Amazon klasse. Denn jedes Unternehmen sollte sich von deren Innovationskraft und dem konsequenten Willen, sich ständig nach vorne entwickeln zu wollen, eine Scheibe abschneiden. Allerdings es gibt gute Gründe, warum uns Google den Großteil seiner Dienste kostenlos zur Verfügung stellt, oder warum Amazon will, dass jeder von uns ein Echo zu Hause hat, oder warum Facebook zum Verzeichnis unserer “Freunde” geworden ist. Was im ersten Moment sehr praktisch erscheinen mag, ist auch eine Gefahr – für die Endverbraucher ebenso wie für etablierte Unternehmen der Old Economy. Nach nunmehr zwei Dekaden sammeln die Internetgiganten Amazon, Google, Facebook, Alibaba und Baidu weiterhin Tonnen an Daten, um ihre Datenbanken mit Informationen von jedermanns Wissen, Meinungen, Empfehlungen, Aufenthaltsorten, Bewegungen, Kaufverhalten, Beziehungsstatus, Lebensstil und mehr zu befüllen. Das ist kein Geheimnis und neu ist dieser Zustand schon gar nicht. Amazon, Google, Facebook und Co. sind in unserem Leben allgegenwärtig geworden. Und Dank des Internet of Things wird die Lücke zwischen unserem analogen und digitalen Leben ständig kleiner. Smart-Home-Lösungen wie Nest, Tado oder Netatmo sind nur der Anfang einer neue Klasse von Geräten. Diese werden zu Augen in unseren privaten Umgebungen, die zuvor nicht mit dem Internet verbunden waren und auf diesem Weg in die Greifarme von Google & Co gelangen. Intelligente private Assistenten wie Amazon Echo oder Google Home sind der nächste Evolutionsschritt. Sie lassen sich einsetzen, um Smart-Home-Lösungen zu steuern oder unser Leben einfacher zu machen, indem wir unsere Stimme nutzen. Kleine Randbemerkung: Wir sollten das Wort “intelligent” in diesem Zusammenhang mit Vorsicht verwenden, da es sich bei den Kommandos über vordefinierte Skripte handelt.

Aber diese technologische Entwicklung bringt uns eine wichtige Erkenntnis: Amazon, Google & Co finden neue Wege, um uns über andere Kanäle an sich zu binden. Sie sammeln Daten und Informationen, die sie benötigen, um bessere Entscheidungen zu treffen und uns bessere Antworten zu liefern. Die Absicht dahinter ist klar: Jeder von uns wird schlichtweg dafür genutzt, um die AIs auf einer täglichen Basis zu trainieren. Das bedeutet, dass alle Services, die Google & Co. ihren Kunden anbieten, letztlich dazu dienen, eine Landkarte der Welt zu zeichnen, die auf den gesammelten Daten basiert.

Endverbraucher befinden sich mittlerweile in einem sehr komfortablen Hamsterrad und können sich im Grunde genommen nicht beschweren. Getreu dem Motto “Quid pro quo”, stellen insbesondere Google und Facebook ihre Dienste kostenlos zur Verfügung und nehmen dafür Daten als Gegenleistung. Befindet man sich aber erst einmal in dieser Spirale, ist es allerdings sehr schwierig oder gar unmöglich sie zu verlassen. Der Grund besteht darin, dass alles digitalisiert wird. Unsere Gesellschaft wird an einen Punkt gelangen, an dem nichts mehr ohne digitale Dienste funktionieren wird. Man könnte auch sagen, dass eine Person, die digital nicht existiert, überhaupt nicht mehr existiert. Und indem das Nutzererlebnis ständig angenehmer wird, muss niemand mehr ein Technologie-Experte sein. Das ist aber gefährlich. Denn die Mehrheit unserer Gesellschaft weiß überhaupt nicht, wie welche Dinge miteinander verknüpft sind und was technologisch im Hintergrund vor sich geht. Unterm Strich liefert das Hamsterrad alle unsere Daten, die die Grundlage für den Erfolg von Google & Co. bilden und als Waffen gegen die renommierten Unternehmen eingesetzt werden.

Und der sarkastische Teil dieser Geschichte besteht darin, dass jeder von uns die Internetriesen bei ihrem Kampf gegen die Old Economy unterstützt, sogar die Old Economy selbst. Die etablierten Unternehmen sind schließlich ebenfalls Kunden der Internetkonzerne, wenn auch aus guten Grund: In den meisten Fällen ergibt es keinen Sinn mehr, eine eigene IT-Infrastruktur oder Dienste in eigenen Umgebungen zu betreiben. Oder es ist einfach zu teuer, innovative Dienste selbst zu entwickeln, die bereits von Amazon, Google & Co. entwickelt wurden. Allerdings befinden sich die alteingesessenen Unternehmen in einem Teufelskreis. Denn auch wenn sie weiterhin die Besitzer ihre Daten sind – aus einer rechtlichen Perspektive – bedeutet dies nicht, dass sie der exklusive Besitzer des Wissens sind, welches aus diesen Daten entsteht.

Daten und Erkenntnisse aus Daten sind die Grundlage, auf der die Internetgiganten Teile ihres Geschäfts aufgebaut haben. Sie arbeiten mit Daten und monetisieren diese. Allerdings handelt es sich dabei nur um einen Teil ihrer großen Maschinerie. Dieser aber gibt ihnen die Macht, quasi jedes funktionierende Geschäftsmodell der Old Economy anzugreifen. Amazon ist nur ein Beispiel von vielen. Der Konzern hat bereits damit begonnen, die Zwischenhändler in der eigenen Lieferkette aus dem Weg zu räumen. Wir können sicher sein, dass Unternehmen wie DHL, UPS oder FedEx in Zukunft ihre Geschäfte anders machen werden als heute – Stichwort Amazon Prime Air. Zudem hat Amazon alles in die Wege geleitet, um ein Ende-zu-Ende Anbieter von Gütern zu werden, und zwar nicht nur digital.

Die Internetkonzerne setzen also voll auf Künstliche Intelligenz. Und viele Führungskräfte unterschätzen noch immer, welche Auswirkungen das auf ihr eigenes Unternehmen haben kann. Damit wächst die Gefahr, dass die Player der Old Economy zu den großen Verlierern in diesem Spiel werden.

Frage: Stichwort „Digitale Transformation“: Noch steht die deutsche Wirtschaft ausgezeichnet da. Befürchten Sie, dass Deutschland mittel- bis langfristig den Anschluss verpassen könnte?

René Büst: Erst einmal müssen wir von einer „Digitalen Evolution“ und keiner Transformation sprechen. Unternehmen setzten seit Anfang der 70er Jahre auf IT-Lösungen. In dieser Zeit ging es darum, die Organisation und Mitarbeiter mit IT auszustatten, um ein Digital Enterprise 1.0 zu schaffen. Der Großteil der Unternehmen befindet sich mittlerweile im Digital Enterprise 2.0. Hierbei geht es darum, IT viel stärker in den Mittelpunkt zu stellen und das eigene Unternehmen mit Kunden, Partner und Lieferanten mehr miteinander zu vernetzen und neue (digitale) Produkte und Services zu entwickeln, Stichwort: Internet of Things. Hierbei helfen dann Mobile Computing, Cloud-Computing, Software-defined Products etc. Nur ein Bruchteil der Unternehmen weltweit befinden sich dagegen bereits im Digital Enterprise 3.0, wo es darum geht Ende-zu-Ende Angebote zu entwickeln und damit die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Amazon ist hier einer der Vorreiter. Aber auch die noch dichtere Vernetzung im Kontext von Menschen, Objekten, Geräten und Lokationen wird immer mehr in den Mittelpunkt rücken, um maßgeschneiderte Lösungen am Ort des Geschehens anzubieten. Bis hin zu einer AI-defined World, wo anhand von Intelligent Environments unser Alltag effizienter und bequemer gestaltet wird.

Um meinen Begriff der „Digitalen Evolution“ zu untermauern. Erst kürzlich wurde Peter Froese – Apothekerverbandschef in Schleswig-Holstein – mit der Aussage zitiert, dass die Apotheker schon seit den 1970er-Jahren einheitliche Kodierungen für Arzneimittel nutzen und Daten elektronisch übertragen. Deutschland kann durchaus weiter den Anschluss verlieren, was meiner Ansicht nach an einer fehlenden Risikobereitschaft liegt. Es wird ständig zu lange gewartet, bis Best Practices vorhanden sind. Dann wird diskutiert. Dann werden Probleme/ Ausreden und künstliche Hürden herbeigezaubert, zum Beispiel das Thema Datenschutz. Und wenn man sich dann durchgerungen hat etwas zu starten, ist es zu spät und die Marktanteile sind vergeben oder der Mitbewerber aus Übersee ist technologisch meilenweit entfernt. Ein Nachzügler zu sein ist ja per se nichts Schlimmes. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn man als Copycat a la Samwer schlichtweg einen Exit sucht. Aber ernsthafte Innovationen schafft man anders.

Ich hoffe daher nur, das Deutschland beim Thema Artificial Intelligence nicht auch wieder den Anschluss verliert. Das ist technologisch als auch strategisch ein immens wichtiges Thema für jedes deutsche und europäische Unternehmen, um das bestehende Geschäftsmodell und die dazugehörigen Produkte und Services zu erweitern und den Kunden noch mehr in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen. Als Kunden liefern wir Anbietern mittlerweile jede Menge Daten, die gewinnbringend für uns genutzt werden können, um uns einen besseren Service zu bieten. Aber das alleine wird nicht reichen. Unternehmen müssen den verknüpfenden Blick auf unterschiedliche Trends behalten, was ich als “Digital Correlation” bezeichne. Denn Trends wie Cloud-Computing, Artificial Intelligence, Internet of Things, Data Analytics, Fog Computing und Blockchain spielen sehr eng miteinander zusammen und würden ohne einen anderen Trend wohlmöglich gar nicht existieren. Außerdem reicht es heute nicht mehr, einfach nur den nächsten Megatrend nachzulaufen. Das Gesamtbild ist entscheidend und wie man selbst daran partizipieren kann und sollte.


Das Interview ist am 24.Oktober 2017 zuerst unter dem Titel Rene Büst: „Künstliche Intelligenz wird der Game Changer“ erschienen.

By Rene Buest

Rene Buest is Gartner Analyst covering Infrastructure Services & Digital Operations. Prior to that he was Director of Technology Research at Arago, Senior Analyst and Cloud Practice Lead at Crisp Research, Principal Analyst at New Age Disruption and member of the worldwide Gigaom Research Analyst Network. Rene is considered as top cloud computing analyst in Germany and one of the worldwide top analysts in this area. In addition, he is one of the world’s top cloud computing influencers and belongs to the top 100 cloud computing experts on Twitter and Google+. Since the mid-90s he is focused on the strategic use of information technology in businesses and the IT impact on our society as well as disruptive technologies.

Rene Buest is the author of numerous professional technology articles. He regularly writes for well-known IT publications like Computerwoche, CIO Magazin, LANline as well as Silicon.de and is cited in German and international media – including New York Times, Forbes Magazin, Handelsblatt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wirtschaftswoche, Computerwoche, CIO, Manager Magazin and Harvard Business Manager. Furthermore Rene Buest is speaker and participant of experts rounds. He is founder of CloudUser.de and writes about cloud computing, IT infrastructure, technologies, management and strategies. He holds a diploma in computer engineering from the Hochschule Bremen (Dipl.-Informatiker (FH)) as well as a M.Sc. in IT-Management and Information Systems from the FHDW Paderborn.