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Künstliche Intelligenz: Anspruch vs. Wirklichkeit

Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde. Und geht es nach Elon Musk oder dem kürzlich verstorbenen Stephen Hawking, steht uns der KI-getriebene Weltuntergang bald bevor. Der Öffentlichkeit wird damit suggeriert, dass die Forschung und Entwicklung rund um KI kürzlich Quantensprünge gemacht hat. Ruhig bleiben, denn wir sind aktuell weit davon entfernt, eine Super-Intelligenz zu entwickeln, welche uns Hollywood mit Filmen wie “Ex_Machina”, “Her” or “AI” verkaufen möchte. Dennoch sei angemerkt, dass wir in einer Zeit des exponentiellen technologischen Fortschritts leben. Das bedeutet, eine „dies wird niemals geschehen“ Haltung ist die falsche Einstellung. Schließlich findet die Forschung und Entwicklung neuer Technologien in immer kürzeren Zeitabständen statt. Daher steht es außer Frage, dass es absolut notwendig ist, im Kontext von KI über Regulierungen und Ethik zu sprechen! Aber wie sollen wir einer KI Ethik beibringen, wenn unsere Gesellschaft selbst keine Ethik besitzt? Beispiele hierfür sehen wir tagtäglich.

Allerdings muss man Musk und Hawking in Schutz nehmen, schließlich führt Unwissenheit zu Unsicherheit und das sorgt für Angst. Oder wie Andrew Smith eins sagte: „Menschen fürchten was sie nicht verstehen.“ Dies untermauert eine aktuelle Sage-Studie, laut derer Ergebnisse 43 Prozent der Befragten in den USA und 46 Prozent der Befragten in UK keine Ahnung haben, um was es sich bei KI überhaupt handelt. Somit besteht aktuell die größte Problematik darin, dass die Allgemeinheit nicht darüber informiert ist, was KI tatsächlich bedeutet.

Künstliche Intelligenz in der Theorie

„Das Ziel der Künstlichen Intelligenz besteht darin, Maschinen zu entwickeln, welche sich so verhalten, als wären sie intelligent.“ (Prof. John McCarthy, 1955)

Sprechen wir in diesem Zusammenhang von intelligent, dann meinen wir ein sich dynamisch verhaltenes System. Ein System, das wie ein leerer IQ-Container betrachtet werden muss. Ein System, das unstrukturierte Informationen benötigt, um seine Sinne zu trainieren. Ein System, welches ein semantisches Verständnis der Welt benötigt, um in der Lage zu sein zu handeln. Ein System, das auf eine detaillierte Karte seines Kontexts angewiesen ist, um unabhängig zu agieren und Erfahrungen aus einem Kontext in den anderen zu übertragen. Ein System, das mit allen notwendigen Mitteln ausgestattet ist, um Wissen zu entwickeln, auszubauen und aufrechtzuerhalten.

Hierbei liegt es in unserer Verantwortung, unser Wissen mit diesen Maschinen zu teilen als würden wir es mit unseren Kindern, Partnern oder Kollegen teilen. Dies ist der einzige Weg, um diese Maschinen, bestehend aus Hard- und Software, in einen Status zu überführen, den wir als „intelligent“ beschreiben. Nur damit helfen wir ihnen, auf einer täglichen Basis intelligenter zu werden und legen damit die Grundlage, ein selbstlernendes System zu schaffen. Hierzu werden in der KI-Forschung drei unterschiedliche Typen von KIs (AI) unterschieden:

  • Strong AI: Bei einer Strong AI handelt es sich um eine selbstbewusste Maschine, die über Gedanken, Gefühle, einem Bewusstsein und den dazugehörigen neuronalen Verwachsungen verfügt. Wer sich allerdings schon auf eine Realität á la „Her“ oder „Ex_Machina“ freut, wird sich noch etwas gedulden müssen. Eine Strong AI existiert derzeit nicht und es wird noch eine unbestimmte Zeit dauern, bis diese Form existieren wird.
  • Narrow AI: Die meisten Anwendungsfälle im KI-Bereich fokussieren sich aktuell darauf, Lösungen für ein sehr spezielles Problem zu bieten. Diese sogenannten Narrow AIs sind sehr gut darin spezifische Aufgaben zu lösen, wie z.B. das Empfehlen von Songs auf Pandora oder Analysen, um die Tomatenzucht in einem Gewächshaus zu optimieren.
  • General AI: Eine General AI ist in der Lage, Aufgaben aus unterschiedlichen Bereichen und Ursprüngen zu bearbeiten. Hierzu besitzt sie die Fähigkeiten, die Trainingsintervalle von einem Bereich zu einem anderen zu verkürzen, indem sie die gesammelten Erfahrungen aus dem einen Bereich in einem anderen artfremden Bereich anwenden kann. Der hierfür notwendige Wissenstransfer ist nur dann möglich, wenn eine semantische Verbindung zwischen diesen Bereichen existiert. Hinzu kommt: Je stärker und verdichteter diese Verbindung ist, desto schneller und einfacher lässt sich der Wissensübergang erreichen.

Künstliche Intelligenz in der Wirklichkeit

Überführen wir die KI-Diskussion mal in Richtung vernünftiger Überlegungen. Heute geht es bei KI nicht darum, das menschliche Gehirn nachzubilden. Es geht darum, ein System zu entwickeln, das sich verhalten kann wie ein Mensch. Unterm Strich bedeutet KI somit die Vereinigung von Analysen, Problemlösungen und Autonomer Automation. Und dieses unter der Berücksichtigung von Daten, Wissen und Erfahrungen.

Amazon Alexa und Apple Siri sind KI-Technologien aber nicht intelligent

Haben Sie schon einmal versucht eine simple Konversation mit Amazon’s Alexa oder Apple’s Siri zu führen? Genau, das geht nicht gut aus. Dennoch, bei Alexa als auch Siri handelt es sich um KI-Technologien. Beide nutzen Natural Language Processing (NLP). Also, Machine Learning Algorithmen in Kombination mit Vorhersagemodellen. Zum Beispiel werden die Algorithmen eingesetzt, um Ihre Sprachkommandos in kleine Teile – so genannte Sound Bites – zu zerlegen. Anschließend werden diese Stücke anhand eines anderen Vorhersagemodells analysiert, mit welchem versucht wird zu erkennen, um was für eine Art von Anfrage es sich handelt. Allerdings sind Alexa als auch Siri weder intelligent noch selbstlernend. Betrachten Sie deren Systeme wie eine Datenbank, welche sich in den Cloud-Backends von Amazon und Apple befinden, und die eine Menge von fertigen Antworten bzw. Anweisungen bedienen. Sollten Sie bspw. ein stolzer Besitzer eines Amazon Echo sein, dann verstehen Sie wovon ich spreche. Jeden Freitag erhalten Sie dann nämlich eine E-Mail mit den neuesten Kommandos die Sie nutzen können, um Alexa zu kontrollieren bzw. mit ihr zu interagieren. Neben der ständig wachsenden Datenbank hinter Alexa helfen die sogenannten „Alexa Skills“ dabei, Alexa „intelligenter“ zu machen. Hierbei handelt es sich um nicht mehr als kleine Applikationen (wie für Ihr Android Smartphone oder iPhone), welche jemand entwickelt und mit weiteren Kommandos, Fragen die gestellt werden können sowie fertigen Antworten bzw. Anweisungen ausgestattet hat. Und je mehr Alexa Skills aktiviert sind, desto intelligenter erscheint Alexa, da Sie schließlich mehr Kommandos zur Verfügung haben, um mit ihr zu interagieren. Die aber derzeit wirklich interessante Geschichte um Alexa ist, dass Amazon mittlerweile 5000 Mitarbeiter exklusiv an Alexa arbeiten lässt, um sie zu verbessern. Damit können wir bald deutlich mehr Fortschritt erwarten.

Die gute Neuigkeit: selbstlernende Systeme existieren bereits. Wenn Sie bspw. Ihr iPhone über Bluetooth mit Ihr Fahrzeug verbinden und Ihre Heimatadresse und die Ihres Büros hinterlegen, wird das iPhone Ihnen in kurzer Zeit anzeigen, wie lange Sie nach Hause bzw. zur Arbeit benötigen. In anderen Fällen hat mir „Apple Maps Destination“ Vorhersagen für Ankunftszeiten zu Orten angezeigt, welche ich zwar öfters besucht habe, deren Adresse aber nicht auf meinem iPhone gespeichert ist. Also lediglich auf Basis meiner Reisegewohnheiten. Google Now arbeitet auf ähnliche Weise. Proaktiv stellt der Dienst dem Nutzer Informationen bereit, welche diese möglicherweise suchen. Also Vorhersagen basierend auf deren Suchverhalten. Und wenn Sie Google Now Zugang zur Ihrem Kalender gewähren, dann arbeitet der Dienst sogar als persönlicher Assistent/ Berater. So erinnert er Sie bspw. daran, dass Sie einen Termin haben und welches Verkehrsmittel Sie nehmen sollten, um rechtzeitig vor Ort zu sein.

Autonome Prozess Automation als Teil unseres täglichen Lebens

Versuchen Sie die KI-Diskussion von einem anderen Blickwinkel zu sehen. Betrachten Sie unser Leben als einen Prozess. Betrachten Sie jeden einzelnen Tag als einen Prozess, der in einzelne Schritte (Sub-Prozesse) unterteilt ist. Und dann betrachten Sie KI als Autonome Prozess Automation, welche uns mehr Komfort bietet und damit unser Leben einfacher macht. Ein paar Ideen:

  • Stellen Sie sich Alexa oder Siri als Ihren persönlichen Wachhund im Büro vor. Ein intelligenter Assistent, der Ihre Anrufe entgegennimmt und für Sie Termine mit Kollegen autonom aushandelt – insbesondere mit denen, die Ihnen ständig ungefragt Kalendereinladungen schicken. Ich denke dabei an eine frühe Variante von Iron Man’s KI „Jarvis“.
  • Oder wie wäre es mit Alexa oder Siri als einen persönlichen Assistenten für unterschiedliche Lebensbereiche. Sagen wir, Sie haben einen Vortrag auf einer Konferenz. Ihr Flug nach Hause startet um 16:00 Uhr. Damit Sie den Flug rechtzeitig erreichen, bestellt Ihr virtueller Assistent Ihnen ein Taxi zu um 14:15 Uhr, da Ihr Vortrag um 13:45 Uhr endet und nach der aktuellen Verkehrslage mit Stau zu rechnen ist. Der virtuelle Assistent sendet Ihnen lediglich die Standortinformationen, wo Ihr Taxi Sie abholen wird. Während des Vorgangs folgt der Assistent einfach nur den gesamten Prozess den Sie normalerweise durchschreiten würden: vom Herausnehmen des Smartphones aus der Tasche, über das Öffnen der App, Suchen des Reiseziels bis hin zum Bestellen des Taxis. Sie haben somit Ihre Hände und Gedanken frei für wesentlich wichtigere Dinge. Hierfür müssen Sie der KI natürlich Zugriff auf Ihren Kalender, Geolokation und weitere Informationen geben.
  • Oder stellen Sie sich eine intelligente Variante des Küchenhelfers “Thermomix” vor. Der Speiseberater: Anhand dessen was der Thermomix im Kühlschrank findet, macht er Vorschläge, welche Gerichte gekocht werden könnten. Sollten ein paar Zutaten für andere mögliche Gerichte fehlen, könnte er anbieten, diese direkt online zu bestellen. Oder der gesundheitsbewusste Berater: Basierend auf den Essgewohnheiten der letzten Wochen macht der Thermomix Sie freundlich darauf aufmerksam, dass Sie das Tiramisu, welches Sie gerade zubereiten, heute doch lieber nicht auf dem Speiseplan stehen sollte, da dies nicht gut für Ihre Kalorienaufnahme wäre.

Künstliche Intelligenz in der Zukunft

KI ist der nächste logische Schritt nach dem Cloud Computing und profitiert gleichermaßen von dessen Erfolg. Die Cloud ist der Antrieb aus einem technologischen Blickwinkel. Bei KI geht es um den Mehrwert für das Unternehmen und führt zu intelligenteren Anwendungen. Auf Basis komplexer Analysen verfeinern KI-Anwendungen im Hintergrund die Kundenansprache und passen Produkte und Dienste besser an die jeweiligen Bedürfnisse an. Immer mehr Unternehmen wie Netflix, Spotify, Amazon, Airbnb, Uber oder Expedia setzen bereits auf KI-basierende Funktionsweisen die auf umfangreiche Datenverarbeitungs- und Analyseaufgaben zurückgreifen, um enger mit ihren Kunden zu interagieren. Als Teil der Strategie befähigt eine KI Unternehmen dabei, ihren Geschäftsbetrieb und dessen Abläufe zu verbessern – u.a. durch:

  • Ein verbessertes Verständnis ihrer Kunden anhand von Interaktionen und des Verhaltens aus der Vergangenheit.
  • Eine neuartige Bedienung von Applikationen durch die Veränderung der Kundeninteraktion von der Tastatur- hin zur Spracheingabe.
  • Eine tiefergehende Kundenbeziehung anhand von “Advanced Virtual Assistants”, welche das Kundenerlebnis verbessern.
  • Kundenspezifische Produkte und Dienstleistungen angepasst an die Kundenanforderungen.
  • Vorhersagen durch Analysen von Kundendaten, -interaktionen und -verhalten aus der Vergangenheit und in Echtzeit.
  • Gesprächiger zu sein, anhand “Smart Personal Assistants” und Bots.
  • Erweiterung bestehender Produkte, Dienste, Anwendungen und Prozesse.

Eines sollte jedoch nicht vergessen werden. Bei KI geht es nicht nur darum, existierende Prozesse zu verbessern. In den kommenden 5 bis 10 Jahren wird KI zum Game Changer werden! Sie wird Innovationszyklen beschleunigen und zu neuen Geschäftsmodellen führen. KI-Anwendungen besitzen bereits heute den notwendigen Reifegrad, um die Effizienz einzelner Prozesse zu erhöhen. Allerdings sollte KI nicht ausschließlich aus einem operativen Blinkwinkel (Verbesserung der Effizienz) betrachtet werden, sondern ebenfalls eine strategische Sichtweise erhalten, um technische Möglichkeiten für neue Applikationen und Anwendungsfälle zu evaluieren. Und damit einen echten Mehrwert für Kunden, Partner sowie die eigenen Mitarbeiter schaffen.

By Rene Buest

Rene Buest is Gartner Analyst covering Infrastructure Services & Digital Operations. Prior to that he was Director of Technology Research at Arago, Senior Analyst and Cloud Practice Lead at Crisp Research, Principal Analyst at New Age Disruption and member of the worldwide Gigaom Research Analyst Network. Rene is considered as top cloud computing analyst in Germany and one of the worldwide top analysts in this area. In addition, he is one of the world’s top cloud computing influencers and belongs to the top 100 cloud computing experts on Twitter and Google+. Since the mid-90s he is focused on the strategic use of information technology in businesses and the IT impact on our society as well as disruptive technologies.

Rene Buest is the author of numerous professional technology articles. He regularly writes for well-known IT publications like Computerwoche, CIO Magazin, LANline as well as Silicon.de and is cited in German and international media – including New York Times, Forbes Magazin, Handelsblatt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wirtschaftswoche, Computerwoche, CIO, Manager Magazin and Harvard Business Manager. Furthermore Rene Buest is speaker and participant of experts rounds. He is founder of CloudUser.de and writes about cloud computing, IT infrastructure, technologies, management and strategies. He holds a diploma in computer engineering from the Hochschule Bremen (Dipl.-Informatiker (FH)) as well as a M.Sc. in IT-Management and Information Systems from the FHDW Paderborn.